Das Monster in Dir - unser Schmerzkörper
Kennt Ihr das? Eigentlich läuft in eurem Leben gerade alles rund. Die Arbeit macht Spaß, mit eurer Umgebung fühlt ihr euch im Einklang und wohl und das Wetter spielt auch mit. Herrlich! Dann klingelt das Telefon, und sagen wir mal, Eure Mutter ruft an. Und ihr erster Satz lautet: “Du meldest Dich ja nie, da muß ich ja jetzt mal anrufen…”
Oder ihr bekommt einen Brief vom Finanzamt, in dem Euch mitgeteilt wird, dass es eine Nachberechnung gab und ihr noch 1.500,— € an Steuern vom letzten Jahr nachzahlen müßt.
Oder Euer Beziehungspartner hat sich “in zehn Minuten” zum Abendessen angekündigt und kommt und kommt nicht…
Und mit einem Schlag sieht die Welt anders aus. Vorbei die gute Laune, die gelassene Heiterkeit; eine heiße Faust ballt sich in eurem Magen oder Brustkorb zusammen, die imaginäre Mütze auf eurem Kopf wird mit einem mal ganz eng und ihr könntet ausrasten. Oder Kälte macht sich breit und Dunkelheit senkt sich wie eine schwere, nasse Wolldecke über Euch und ihr seid urplötzlich wieder nachts allein im Kinderzimmer und in Panik, verlassen zu werden.
Kommt Euch das bekannt vor? Mir sehr. Auf meiner Suche zu diesem Thema bin ich vor etwa zehn Jahren auf ein ebenso schlichtes wie tiefgreifendes Konzept gestoßen, dass ich hier gerne mit Euch teilen möchte.
Einige von Euch kennen sicherlich bereits Eckhardt Tolle. Ich würde ihn als spirituellen Lehrer und “Entwicklungshelfer” bezeichnen, einen klugen, sehr gebildeten, einfühlsamen und lebensfreundlichen Mann, der die Zusammenhänge und Wirkungsweisen unseres menschlichen Daseins tief durchdrungen und begriffen hat und durch eigene leidvoller Erfahrungen und intensive Transformationsprozesse gegangen ist - er weiß also, wovon er spricht.
Tolle hat zu diesem Thema ein Bild entwickelt, mit dem ich persönlich sehr viel anfangen kann und dass meiner Erfahrung der letzten 10 Jahre nach auch viele andere Menschen sofort intuitiv verstehen. In einem seiner Bücher, “Eine neue Erde”, beschreibt er dieses Phänomen sehr ausführlich; er nennt es “den Schmerzkörper”.
Der Schmerzkörper
Wir alle haben in unserem Leben bereits Erfahrungen gemacht, die schmerzlich und unangenehm waren. Vor allem in unserer Kindheit haben die meisten von uns Situationen erlebt, die Gefühle wie z.B. Schmerz, Angst, Wut, Ohnmacht und/oder Trauer in uns ausgelöst haben. Immer wieder kam es vor, dass wir diese Gefühle in der jeweiligen Situation nicht wirklich zu Ende fühlen und verarbeiten konnten; häufig lag dies daran, dass wir in einer Umgebung lebten, die selbst keinen heilsamen Umgang mit ihren Gefühlen gelernt hatte und dementsprechend auch mit unseren starken Gefühlen überfordert war.
All diese Situationen haben in uns sozusagen “emotionale Reste” von schmerzlichen Gefühlen hinterlassen. Diese emotionalen Reste ballen sich - so Tolle´s Bild - in unserem energetischen System zusammen und formen etwas wie einen eigenen Energiekörper ins uns, den sogenannten “Schmerzkörper”.
Dieser Schmerzkörper hat nun einzig und allein ein Interesse: sich am Leben zu erhalten. Und was braucht er dazu? Genau die Art von Energie, aus der er selbst besteht: Schmerz und Leid. Unser Schmerzkörper wird also alles daran setzen, immer wieder Situationen zu kreieren, die diese schmerzlichen Gefühle in uns wachrufen, auf dass er sich an ihnen laben kann. Wie es uns dabei geht, was er in uns damit anrichtet, interessiert ihn überhaupt nicht; wie etwa ein Virus ist er allein an seiner Selbsterhaltung interessiert. Man könnte ihn also mit Fug und Recht als “seelischen Parasiten” (Tolle) bezeichnen.
Feindliche Übernahme
Wie bekommt unser Schmerzkörper nun, wonach er sich so dringend sehnt? Wie bringt er uns dazu, uns schlecht zu fühlen, zu leiden und alles in der Welt nur noch durch eine düstere, negative Brille wahrzunehmen? Ganz einfach: in dem er in nullkommanix unser gesamtes Denken übernimmt und Filme in unserem Kopf ablaufen läßt, die eben diese Gefühle in uns auslösen. Von einem Moment auf den anderen katapultiert er uns aus dem „entspannt im Hier und Jetzt“ hinein in unsere ganz persönlichen Horrorstreifen, die jetzt völlig automatisch und mit Macht auf unserer inneren Kinoleinwand ablaufen und Bilder in uns kreieren, die immer weiter unsere „Knöpfe“ drücken.
Interessanterweise beschäftigen sich diese Horrorfilme bei näherer Betrachtung eigentlich immer mit denselben Inhalten; allein die Protagonisten und Schauplätze können variieren, der Plot bleibt immer gleich: „alles wird furchtbar, es hat sowieso alles keinen Sinn, immer wenn es mir gerade gut geht, passiert irgendetwas Schlimmes, ich kann mich abstrampeln, wie ich will, ich komme nie auf einen grünen Zweig, Männer sind alle/Frauen sind alle…“ - klingelt es? Ewig gleiche Tapes, die jetzt endlos abgespielt werden und in uns ein düsteres, wütendes, feindseliges, hoffnungsloses oder sonst wie destruktives Klima erzeugen.
An diesen ewigen Wiederholungen und der Vehemenz der Reaktionen, die sie auslösen, können wir sie bereits als „Schmerzkörper-Movies“ identifizieren.
Ein weiterer sicherer Hinweis ist, dass diese Filme sich immer entweder mit der Vergangenheit (z.B. „immer wenn ich…, dann…“) oder mit der Zukunft beschäftigen (z.B. „es wird nicht klappen“), nie aber mit der Gegenwart. Das ist ohnehin ein sehr beliebter Trick unseres Egos, um sich wichtig zu machen: uns aus der Realität unserer Gegenwart heraus zu holen und mit der Vergangenheit oder der Zukunft zu beschäftigen.
Denn wenn wir in einem solchen Moment die Geistesgegenwart besäßen, innezuhalten und wieder den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen, würde uns auffallen, dass jetzt im Moment eigentlich alles gut ist und wir bei Lichte betrachtet überhaupt keinen Grund für solch heftige emotionale Wallungen haben. Der Schmerzkörper weiß das in der Regel sehr geschickt zu verhindern, denn er will ja, dass wir in dem jeweiligen Horrorszenario stecken bleiben und ihn mit all den guten Sachen füttern…
Wann immer wir also emotional überreagieren können wir davon ausgehen, dass unser Schmerzkörper gerade aktiv ist. Wie kommt es nun, dass er manchmal aktiv ist und manchmal nicht?
Wach- und Schlafphasen
Unser Schmerzkörper kennt zwei Zustände: wachen und schlafen. Wenn er schläft, ist die Welt in Ordnung. Ja, wir haben es auch mit den alltäglichen Herausforderungen des Lebens zu tun, aber sie bringen uns nicht aus dem Gleichgewicht, wir können ihnen angemessen und konstruktiv begegnen. Erwacht der Schmerzkörper jedoch, bricht plötzlich Krieg aus in unserem Inneren und wir finden uns von einem Wimpernschlag zum nächsten in einem emotionalen Katastrophengebiet wieder.
Bezüglich dieser Wach- und Schlafphasen gibt es nun wiederum zwei Szenarien: entweder erwacht der Schmerzkörper einfach, weil er längere Zeit geschlafen hat und nun nach Nahrung giert – der Hunger treibt ihn sozusagen aus dem Bett. (Deshalb empfiehlt es sich gerade in Phasen, in denen es uns hervorragend geht, besonders wach und aufmerksam zu sein – es kann jetzt nicht mehr allzu lange dauern, bis unserem Schmerzkörper der Magen knurrt…)
Oder es gibt einen bestimmten Auslöser, der ihn plötzlich aufweckt und wie von der Tarantel gestochen aus dem Tiefschlaf schießen läßt (s.o.: ein Anruf, eine bestimmte Situation, die Begegnung mit einer bestimmten Person, ein bestimmter Satz, den jemand zu uns sagt – ich bin mir sicher, Euch fallen gerade schon einige typische solcher Momente ein!). Je nach unserer Geschichte haben wir alle bestimmte Trigger, die unseren Schmerzkörper aktivieren – unsere „Knöpfe“ eben. Bei dem einen ist es vor allem das Thema Geld, bei dem anderen die Angst, verlassen zu werden, bei einem Dritten das jeweils andere Geschlecht – die meisten von uns haben mehrere solcher typischen Konstellationen, in denen wir uns mit schöner Regelmäßigkeit von einem freundlichen, positiven und reflektierten Menschen in ein hysterisches, dramatisches, haßerfülltes, in Panik erstarrtes oder sonst wie emotional völlig desolates Wrack verwandeln.
Die gute Nachricht an dieser Stelle ist: es gibt also gewisse Regelmäßigkeiten (immer wenn – dann). Wenn wir diese erkennen lernen und unsere ganz persönlichen Schmerzkörper-Trigger nach und nach identifizieren, erwischt es uns nicht mehr so kalt und wir können immer mehr den Moment ausmachen, in dem unser Schmerzkörper erwacht. Das ist der zweite wichtige Schritt, einen heilsamen Umgang mit diesem Monster in uns zu lernen.
Ein heilsamer Umgang
Der erste Schritt ist es, zu realisieren und anzuerkennen, dass wir alle einen solchen Schmerzkörper haben (und Hand auf´s Herz: ich habe in den letzten 10 Jahren niemanden, wirklich niemanden kennengelernt, der keinen Schmerzkörper gehabt hätte!). Er mag von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägt sein und unsere emotionalen Desaster unterschiedlich heftig; aber er existiert in jedem von uns und wir tun gut daran, ihn nicht zu verleugnen, sondern ihn willkommen zu heißen und neugierig-liebevoll betrachten zu lernen.
Denn das ist direkt die nächste gute Nachricht: wenn wir unseren Schmerzkörper erst einmal bejaht haben und erkennen können, wann und wie er in uns wirkt, dann können wir damit beginnen, einen konstruktiven Umgang mit ihm zu erlernen und ihm nach und nach die Energie zu entziehen.
Denn das ist der einzige, dafür aber sehr wirkungsvolle Weg, unseren Schmerzkörper mit der Zeit auszudünnen: wir müssen aufhören, uns mit ihm zu identifizieren und ihm die Nahrung entziehen. So können wir ihn immer mehr verhungern lassen und ihm nach und nach seine Macht über uns entziehen. (Und für alle, die jetzt anfangen, ein wenig Mitleid mit ihrem armen, hungernden Monster zu empfinden: keine Sorge, so schnell verhungert es zum einen nicht; zum anderen ist das ein liebevoller, allmählicher und integrierender Prozess, der unseren Schmerzkörper Stück für Stück in etwas anderes verwandelt.)
Soweit, so gut. Habt Ihr Euch wiedererkannt? Seid Ihr neugierig geworden, wie es jetzt weitergeht? Brennt Euch jetzt die Frage auf dem Pelz: „Und wie in aller Götter Namen komme ich da jetzt raus?“ Ja? Wunderbar! Dann geht es gleich weiter mit dem Artikel „Der magische Dreischritt – vom Umgang mit dem Schmerzkörper“. Oder Ihr kauft Euch Tolle´s Buch „Eine neue Erde“ und lest das alles und noch viel mehr dort nach. Oder beides. Hauptsache, ran an die Bouletten. Wir wollen es doch lieber schön haben, oder? Also los!
Bis zum nächsten Mal, Eure Lynn